Was Minderwertigkeits-gefühle mit Führung zu tun haben

Ein Mitarbeitender zieht sich zurück. Eine andere verhält sich überheblich. Ein Dritter widersetzt sich leise, aber hartnäckig. Für viele Führungskräfte sind das alltägliche Phänomene – aber selten verstehen wir die psychologischen Ursachen dahinter.

Die Individualpsychologie hat einen klaren Blick darauf: Es sind oft Minderwertigkeitsgefühle, die diese Reaktionen auslösen

Was genau bedeutet „Minderwertigkeits-gefühl“?

Nach Alfred Adler sind Minderwertigkeitsgefühle kein pathologisches Problem – sie sind ganz normal. Jeder Mensch vergleicht sich mit anderen, und jeder empfindet auf irgendeine Weise „Nicht-genügen“. Entscheidend ist, wie wir damit umgehen.

Es gibt zwei Wege:

  • Erfolgreiche Kompensation: Der Mensch wächst, lernt, entwickelt sich.

  • Überkompensation: Der Mensch sucht Ersatzmechanismen – z. B. durch Arroganz, Rückzug, Kontrolle oder Störung.

Typische Verhaltensweisen im Team

Minderwertigkeitsgefühle führen oft zu sogenannten störenden Nahzielen, z. B.:

  • Aufmerksamkeit um jeden Preis (z. B. Drama, ständiges Melden, Jammern)

  • Macht demonstrieren (z. B. Besserwisserei, passiv-aggressive Ablehnung)

  • Racheverhalten (z. B. gezielte Sticheleien, Boykott)

  • Verweigerung (z. B. Rückzug, Dienst nach Vorschrift, Schweigen)

Diese Verhaltensweisen sind keine "Bösartigkeit", sondern letztlich Versuche, wieder Teil der Gemeinschaft zu werden– nur leider mit ungeeigneten Mitteln.

Was kann Führung hier tun?

Führung kann solche Muster nicht „abschaffen“ – aber sie kann den Boden bereiten, auf dem sich bessere Wege etablieren. Dazu gehören:

  • Erkennen statt urteilen: Nicht „Was hat die jetzt schon wieder?“ – sondern: „Was könnte ihr fehlen?“

  • Ermutigen statt belehren: Selbstvertrauen entsteht durch kleine Erfolge, nicht durch Druck.

  • Verstehen statt kontrollieren: Minderwertigkeit lässt sich nicht durch „mehr Ansagen“ lösen – sondern durch ehrliches Interesse.

Ein Fall aus meiner Praxis

Ich hatte eine Mitarbeiterin, die mit den Jahren in den Widerstand geraten war. Sie boykottierte still Aufgaben, redete andere klein, fehlte häufig – und blockierte das Team. Zunächst versuchte ich es mit Gesprächen, Strukturen, Konsequenzen. Erst durch mein tieferes Verständnis der Individualpsychologie erkannte ich: Sie war komplett entmutigt.

Sie fühlte sich nicht gesehen. Sie hatte keine Perspektive. Sie versuchte, sich durch Machtspiele in eine Position zu retten, die ihr längst entglitten war. Rückblickend hätte ich früher anders gehandelt – mutiger, klarer, empathischer. Manchmal kommen diese Erkenntnisse zu spät. Aber sie helfen, es beim nächsten Mal besser zu machen.

Mein Fazit

Minderwertigkeitsgefühle sind oft der blinde Fleck im Führungsalltag. Sie äußern sich nicht in „Ich fühle mich minderwertig“, sondern in Widerstand, Ego oder Drama. Wenn du lernst, diese Signale zu lesen und auf Augenhöhe zu begegnen, kannst du als Führungskraft ungeahnte Entwicklungen anstoßen.

Denn Ermutigung ist keine Methode – sie ist eine Haltung.

Die Umsetzung in der Praxis?

Im nächsten Beitrag erfährst du, wie ich mit dieser Haltung eines meiner Teams transformiert habe – mit ganz konkreten Maßnahmen aus dem Alltag.

Zurück
Zurück

Führung im Spannungsfeld – Zwischen Autonomie und Gemeinschaft

Weiter
Weiter

Ermutigende Führung – Wie ich eines meiner Teams transformiert habe